Pfarre Thernberg

Entdeckung eines Wandbildes 2002

Ein unbekanntes gotisches Christophorus-Wandbild in der Pfarrkirche von Thernberg

Die Pfarrkirche von Thernberg steht als einer der bedeutendsten romanischen Sakralbauten Niederösterreichs seit fast 200 Jahren im Blickpunkt des wissenschaftlichen Interesses. So findet die Kirche bereits in der biedermeierlichen Reiseliteratur Erwähnung, wo etwa 1828 der Begründer der österreichischen Burgenarchäologie Joseph Scheiger von seiner Besichtigung der Grabsteine im Gotteshaus berichtet. Neben den Darstellungen von Franz TSCHISCHKA und Franz SCHWEICKHARDT ist vor allem Joseph FEIL zu nennen, der neben baugeschichtlichen Überlegungen auch eine erste Edition der Inschriften in der Kirche lieferte. Eduard VON SACKEN setzte 1866 den Auftakt zu den zahlreichen architekturhistorischen Untersuchungen zur romanischen Architektur in Niederrösterreich, in welchen der Thernberger Pfarrkirche reges Interesse entgegengebracht wird; von den jüngsten Arbeiten im 20. Jahrhundert seien hier jene von Mario Schwarz und Rudolf Koch genannt. Neben diesen, besonders auf die Architektur bezugnehmenden Arbeiten, fanden auch die bedeutenden hoch- und spätmittelalterlichen Wandmalereien der Kirche Eingang in das Corpus der mittelalterlichen Wandmalereien Niederösterreichs von Elga Lanc.

Trotz dieser umfassenden wissenschaftlichen Erschließung der Kirche ist erst jüngst ein bisher unbekanntes Wandmalereifragment entdeckt worden, das der Vollständigkeit halber hier kurz vorgestellt und damit für künftige Forschungsarbeiten zugänglich gemacht werden soll. Es handelt sich dabei um ein Fragment eines monumentalen gotischen Christophoruswandbildes, das sich an der Südfassade des Außenbaus, verborgen im Dachboden des zweigeschossigen spätbarocken Sakristeianbaus, erhalten hat. Seine zufällige Entdeckung hängt mit dem Umstand zusammen, dass sich im als Oratorium genützten Obergeschoss dieses 1789 errichteten Sakristeianbaus ein Steinrelief in der romanischen Außenfassade befindet, das ebenfalls in der genannten Literatur bisher unerwähnt blieb (Bild 1).

Bild 1: Oratorium, Reliefstein im romanischen Außenmauerwerk
Bild 1: Oratorium, Reliefstein im romanischen Außenmauerwerk

Dieses, durch rezenten Verputz in seinem Darstellungsinhalt schwer lesbare Relief, auf dem man vielleicht Traubenreben und Kornähren als christologische Symbole erkennen kann, wird im oberen Teil von der Flachdecke des Oratoriums verdeckt (erkennbare Höhe 25 cm, Breite 68 cm). Zur Klärung einer möglichen Fortsetzung nach oben war also eine Begehung des über der Flachdecke liegenden Dachbodens notwendig. Statt einer Fortsetzung des Reliefsteins fand sich im Dachboden allerdings ein Fragment eines monumentalen Christophoruswandbildes, das in deutlich reduziertem Zustand auf uns gekommen ist (Bild 2).

Bild 2: Christophorusfragment im Dachboden des Sakristeianbaus
Bild 2: Christophorusfragment im Dachboden des Sakristeianbaus

Es befindet sich im zweiten Interkolumnium der durch Halbsäulen gegliederten romanischen Kirchenfassade, also oberhalb des romanischen Südportals, das heute als Zugang vom Kirchenschiff zur Sakristei dient. Nach unten von einer Abschlagskante knapp über dem Dachbodenniveau und nach oben von der Schräge des Dachstuhls begrenzt, lässt sich heute nur mehr der Oberkörper des Heiligen erkennen (größte erhaltene Hohe 225 cm, größte erhaltene Breite 155 cm). Er trägt ein an der Taille gerafftes Gewand in lichtem Grün und darüber einen roten Mantel, dessen weiße Borte mit einer aus dem Verputz herausgekratzten, rhombenförmigen Agraffe zusammengehalten wird (Bild 3).

Bild 3: Christophorusfragment im Dachboden des Sakristeianbaus, Kragendetail mit herausgekratzter Agraffe
Bild 3: Christophorusfragment im Dachboden des Sakristeianbaus, Kragendetail mit herausgekratzter Agraffe

Darüber erkennt man in ocker möglicherweise den blonden Vollbart des Heiligen. In seiner rechten Hand hält er den grünen stabartigen Stamm eines Baumes oder einer Dattelpalme, wie sie bei den frühen Christophorusdarstellungen vorkommt. Der großflächig hohl liegende Feinputz weist mehrere Fehlstellen auf und wird im Gesamteindruck zusätzlich von einer diagonal über die Brust des Heiligen verlegten Stromleitung gestört. Bemerkenswert ist überdies, dass die gesamte im Dachraum verborgene Fassade verputzt ist und man hier die ursprüngliche Fassadenoberfläche des Mittelalters vor Augen hat. Sie entlarvt die Steinsichtigkeit des romanischen Quadermauerwerks der heutigen Außenfassade als pseudomittelalterliche Schöpfung nach der Auffassung des 19. Jahrhunderts.

Über Gesamtkomposition, Stil und Datierung des Wandbildes lassen sich angesichts seines stark fragmentierten Bestandes nur eingeschränkt Aussagen treffen. Die statisch-frontale Haltung des Heiligen lässt jedenfalls eine Zuordnung des Christophorusbildes zum früheren, hieratischen Typus zu, der in Niederösterreich etwa in Pfaffstätten, Schöngrabern und Traismauer vertreten ist. Häufig ist bei diesem Typus das Christuskind in frontaler Haltung als Pantokrator dargestellt, und der Christusträger wird in der Tracht des Landesherrn mit Herzogshut wiedergegeben. Ob dies auch für den Thernberger Christophorus zugetroffen hat, muss aus Mangel an Indizien offen bleiben. Stilistisch scheinen in den parallel gezogenen Falten des Gewandes und der kompakten Körperlichkeit der rechten Hand Stilelemente auf, wie man sie bei trecentesken Werken kennt. Sowohl in seiner Farbigkeit als auch im Stil steht der Christophorus den weiblichen Heiligendarstellungen in der Apsis der Thernberger Pfarrkirche nahe. Die Entstehungszeit dieser gotischen Wandmalereien, die von Elga Lanc „gegen bzw. um 1400“ angesetzt wird, darf auch für das Christophorusbild angenommen werden, und auch die ausführende Hand wird in der selben Werkstatt zu suchen sein. Somit kann durch den hier kurz vorgestellten, bescheidenen Neufund der Nachweis erbracht werden, dass um 1400, gleichzeitig mit der Wandmalereiausstattung im Inneren der Kirche, auch an der Südwand des Außenbaus ein monumentales Christophoruswandbild über dem Kirchenportal geschaffen wurde.

Text und Fotos: Gerd Pichler

Aus: UNSERE HEIMAT
Zeitschrift für Landeskunde 73.Jgg./2/2002